Als wir aus
unseren Ferien nachhause kamen, schrieb ich ein Kapitel, was ich am nächsten
Tag wieder rausschmiss, weil ich das Gefühl hatte, dass mich die Beschäftigung
mit seinem Inhalt eher beschwert als erleichtert. Hier ist es:
25. Juli 2008 - Grüner Tag zwischen den Maya-Jahren Ix 2
und Cauac 3.
Heute vor zwei
Jahren waren D. und ich zum Mittagessen bei meinem Onkel. Ich hatte meinen
letzten Arbeitstag im Kindergarten in S.. An Michel hat noch keiner gedacht.
Reinigung. Ich
habe das Bedürfnis nach Reinigung, innerer Reinigung, Befreiung, ausmisten,
mich von Ballast zu er-lösen, altem, globalem, was garnicht meins ist, aber an
mir hängt. Warum hängt das an mir? Warum beschäftige ich mich damit? Freiraum
schaffen! Mich von dem lösen, was garnicht meins ist, verdammt noch mal! Was
habe ich damit zu tun? Telefonsex, tote jüdische Kinder, Völkermord,
Rapper-Space.
Vielleicht irre
ich gerade im Wald umher. ? … ? … - …
Ich habe mir in
unseren Ferien in Regensburg (u.a.) ein Buch gekauft, „Lipshitz“ von T Cooper,
und in den vergangenen paar Tagen das meiste davon gelesen, irgendwie hat es
mich gefesselt. Es ist die Geschichte einer jüdischen Familie, die in Folge
eines Massakers Anfang des 20. Jahrhunderts von Russland nach Amerika auswandert.
In jeder Generation verliert die Familie Kinder. Das erste wird während des
Pogroms in Russland umgebracht, das nächste verschwindet im Getümmel beim
Verlassen des Schiffes in New York, einer stirbt im Krieg, ein anderes ist
einfach tot, das wird nicht weiter erwähnt, und zum Schluss schließt sich der
Kreis, indem die Eltern des Autors, letzter Spross der Familie, in ähnlicher
äußerer Szenerie (bei einem Autounfall) ums Leben kommen wie das ermordete
Mädchen in Russland am Anfang der Geschichte. Dann macht das Buch einen Sprung
und der Autor landet von der Erzählung der Familiengeschichte, die von 1905 bis
1942 ging, bei sich in der Jetztzeit. Diese Schilderungen habe ich nach drei
Kapiteln aufgehört zu lesen. Das ist mir zu brutal. Er ist Rapper-DJ und
zitiert Eminem, der „Frauen, Mädchen und Schlampen am meisten hasst“. Was ich
bisher in diesem zweiten Buchteil gelesen habe, ist genau die Art von
menschlicher Energie, die damals, 1905 in Kischinjow das elfjährige Mädchen
umgebracht hat - junge, männliche Energie, der jegliche Ehrfurcht oder
Wertschätzung abgeht. – Soll ich das
Buch bis zum Ende lesen? Entdecke ich dann was oder tue ich mir damit eher was
an? – Dieser T ist Opfer und Täter in einem. Er hat das Blut des ermordeten
Mädchens in sich und die Energie ihrer Mörder. Damit schließt sich der Kreis
auch wieder. Das geht immer rundherum, rundherum. Und genau das will ich
verlassen, diese Spielebene, Täter und Opfer will ich nicht mehr spielen.
Gestern habe ich
ein paar anzügliche sms geschickt bekommen. Ob ich ein paar „geile“ Bilder
haben möchte, in der Art. Ich habe nicht auf meine innere Stimme gehört,
die deutlich, aber leise sagte, ich
solle nicht darauf reagieren, sondern ich hörte auf meinen Alltagsverstand, der gleich danach
sagte: „Vielleicht hat dir jemand ein Foto geschickt“, denn in der ersten sms
hieß es nur, ein Telegramm und ein Bild seien für mich hinterlegt. Das anzügliche
Geschreibsel kam erst, nachdem ich rückgefragt hatte, worum es sich handele.
Jedenfalls ging das ein paar Mal hin und her und ich habe insgesamt 4 sms
zurückgeschickt mit dem Inhalt, ich möchte in Ruhe gelassen werden, was mich
jetzt wahrscheinlich gut 8,- € gekostet hat, denn irgendwann kam die Nachricht:
Willkommen im Chat: 1,99 € / sms zzgl. normaler Gebühren. Als dann noch eine
sms kam, ob ich ein erotisches Foto von ich-weiß-nicht-wem haben wolle, habe
ich bei unserer städtischen Polizeistation angerufen und gefragt, was ich tun
könnte. Da war ein ganz Gemütlicher am Telefon. Der sagte erstmal garnichts.
Dann erzählte er mir auf oberhessisch, er habe auch schon mal so ähnliche sms
bekommen, da habe aber jemand geschrieben, er/sie würde ihn gerne kennenlernen.
Seine Frau habe das gelesen, da sei aber was Schönes los gewesen. Er habe das
dann ignoriert, die sms, und ich solle es doch auch so machen. Falls noch was
käme, an Kosten, außer diesen acht Euro, könne man immer noch dagegen vorgehen.
Das war ein
angenehmes und lustiges Telefongespräch! Das war das Ganze dann schon wieder
wert.
Jedenfalls macht
es keinen Sinn, auf diese sms zu antworten. Das ist auch nur Ping-pong-Spielen
und kostet mich noch dazu unangemessen viel Geld. Loslassen also. Ignorieren,
auch, wenn es lästig ist. Mich darauf einzulassen und mich damit auseinander zu
setzen, fesselt mich nur daran. … – Ist das mit meinem Männerthema auch so?
Löst sich das auch von selbst? Habe ich das nur, weil ich glaube, dass ich es
habe? – Ich lasse das Ganze sich einfach entwickeln und beobachte die
Entwicklung. Wenn ich mich zu sehr damit beschäftige, verhaspele ich mich
vielleicht in etwas, was nicht ist.
Da ist noch eine
Begebenheit, von der ich mich reinigen will: Die paar Tage, die wir letzte
Woche weg waren, verbrachten wir bei Michels Patenonkel in Bayern. An einem Tag
wollten wir auf der Donau Schiff fahren. Als wir aus dem Auto stiegen, nieselte
es und D. machte ein missmutiges Gesicht und brummelte was von „wenn Michel
krank wird“. Daraufhin reagierte der Onkel sauer und raunzte, er habe jetzt
keine Lust mehr und wir könnten ja auch wieder heimfahren. Am vorigen Tag sei
es auch nicht okay gewesen, was wir gemacht hätten. Wir waren in Regensburg im
Donau-Einkaufszentrum bummeln, wegen des unbeständigen Wetters unter Dach. Auf
der Heimfahrt kamen wir durch Burglengenfeld. D. fragte, ob es da auch wirklich
eine Burg gäbe und als der Onkel bejahte, sagte D.: „Da fährt er mit uns in ein
Einkaufszentrum und hier gibt es eine Burg!“ D. geht nicht gerne bummeln, das
weiß ich, davon hat man aber im Donau-Einkaufszentrum nichts gemerkt, meine
ich. Michels Patenonkel kommt, glaube ich, weniger auf die Idee, eine Burg zu
besichtigen, in einen Tierpark zu fahren oder so etwas in der Art. Er ist eher
geistig orientiert, lesen, im Bücherladen stöbern, ins Theater gehen und so
Sachen. Am Morgen hatte er mir gesagt, sein Vater, der mit im Haus wohnt, sei
heute völlig überfordert, weil er übers Wochenende wegfahre; mit dem Packen
und dem Außergewöhnlichen. Hinterher, nach dieser kleinen Eskalation auf dem
Parkplatz, dachte ich mir, er hat damit vielleicht auch (unbewusst) eine
Botschaft von sich gegeben. Dass es anstrengend ist, sich um uns, seinen
Besuch, zu kümmern und er vielleicht lieber ein bisschen Ruhe hätte. Und D. und
mir hätte eine Stunde Zweisamkeit auch gut getan, aber wir hatten ja was vor.
So hat einer
seinen Unwillen auf den anderen übertragen, projiziert, oder auf’s Wetter, und
dem Vorwürfe gemacht, anstatt vorher die eigene Befindlichkeit wahrzunehmen, ernst
zu nehmen und mitzuteilen, was man will bzw. was man nicht will. Vielleicht
hätte jedem eine Auszeit gut getan, zuhause bleiben, schlafen, lesen, ausruhen,
reden. Stattdessen haben wir „den anderen zuliebe“ zusammen etwas unternommen.
So ungefähr war das. Und so ist es manchmal. Und das ist nicht gut! Ich habe
die Erfahrung gemacht, dass, wenn man sagt, was man möchte, auch, wenn man
denkt, dem anderen käme das ungelegen, sich gerade dadurch eine Situation
ergeben kann, die auch den anderen bereichert, ihm einen Freiraum schenkt. Und
dass es zu nichts Gutem führt, wenn man entgegen dem handelt, was man für sich
selbst gerade braucht.
Ich sah die beiden
erstmal nur groß an, da auf dem Parkplatz, weil ich auch nicht sofort checkte,
was eigentlich los war, und reagierte garnicht. D. blieb auch sehr ruhig.
(Vorgehaltene Hand: Das hat mich gewundert, weil bei uns beiden manchmal aus
solch einem Anlass die Fetzen fliegen.) Unser Gastgeber beruhigte sich etwas
und wir fuhren dann doch mit dem Schiff zum Kloster Weltenburg und es war auch
schön. Ich fand’s schön. Zu Anfang auf dem Schiff fühlte ich mich allerdings
noch beklommen und überlegte, ob ich zu dem Thema noch etwas sagen sollte, weil
die beiden Männer schwiegen. Ob ich fragen sollte, ob es noch was zu klären
gäbe. Dann dachte ich aber, das lasse ich jetzt bei den beiden, das liegt nicht
in meiner Verantwortung.
Irgendetwas haben
die beiden miteinander gehabt in diesen Tagen, irgendwas hat einer dem anderen
gespiegelt. Und vielleicht hätten wir einen Tag einfach mal nichts machen
sollen. Ich glaube, wir hatten alle das Bedürfnis nach Ruhe und sind das
einfach übergangen. Über uns selbst weggegangen und dann waren wir sauer auf
den anderen. Oder aufs Wetter.
Heute (25. Juli) ist
der grüne Tag im Mayakalender, der Tag außerhalb der Zeit, an dem man darauf
achten kann, was geschieht, als Vorausblick auf das neue Jahr. Ich habe heute
viele Leute getroffen, die ich kenne, von irgendwoher aus meinem Leben, aus den
verschiedensten Konstellationen. Das erdet mich. Ich weiß: Ich bin am rechten
Platz. Hier ist meine Heimat. Ohne mich daran zu binden. Das ist schön. Das ist
wirklich so: Durch die Menschen, die ich heute getroffen habe, das, was wir
miteinander geredet haben … ich fühle mich hier, wo ich lebe, eingebunden,
verbunden, aber nicht ge-bunden. Ich
fühle mich hier richtig wohl! Ich bin gern hier.
Besuch hatten wir
heute auch: eine Freundin und ihr Mann. Ich hatte ein bisschen Angst vor
schweren Themen, Opfer-Themen: gequälte Tiere, teurer Sprit, Probleme an der
Arbeit. Bei früheren Treffen habe ich oft unter der Übermacht solcher
Gesprächsthemen gelitten. Heute wurde auch so gesprochen, aber ich bin nicht
darauf eingegangen und – vielleicht noch wichtiger! – ich habe nicht dagegen
angekämpft, auch nicht innerlich. Ich habe sie einfach reden lassen und
versucht, nicht zu leiden - und das hat geklappt, fällt mir gerade auf. Es wurde
sogar noch ein richtig schöner Nachmittag, leicht, lustig und geerdet. So war
es heute irgendwie: geerdet. Und den ganzen Ballast, der mir hin und wieder
noch Kopfschmerzen macht, schieße ich mit Cauac, dem blauen Sturm, in den Wind!
Auf Nimmerwiedersehen! Morgen beginnt das neue Maya-Jahr: Cauac 3, Cauac, die
Kraft der Selbst-Erneuerung, intensive Gefühle, Neu-Strukturierung und der Ton
3, der elektrische Ton des Dienens: der eigene Rhythmus, Handeln, Kreativität,
Tatendrang.
Na dann: Cauac
komm, um mir zu dienen! Uns zu dienen!
Dieses Kapitel war
also aus den eingangs genannten Gründen rausgeflogen. Ich wollte auch nicht
wieder über andere schreiben / reden.
Aber wie soll ich veranschaulichen, wie’s mir geht, welche Gegebenheiten in mir
welche Prozesse bewirken? Also, Ihr Lieben, die ich Euch aufgeführt habe, seid
bitte nicht sauer. Ich danke Euch, dass Ihr mir als Spiegel und Lernhilfe
dient!
In der Konfliktsituation
am Donaudampfer fühlte ich mich auch selbst bedroht und hatte meine Angst und meinen
Ärger heruntergeschluckt. Es war beides in dieser Situation: Ich war ruhig und
gelassen und musste deshalb nicht reagieren, es war aber auch so, dass ich mich
angegriffen fühlte, es schluckte und mich nicht traute, meine eigene Wut an den
Mann zu bringen. Dabei hätte es vielleicht garnicht viel gebraucht. Obwohl das
mit dem Runterschlucken-meiner-Wut für mich ein Thema darstellt, ist, wie ich
vermute, meine Angst davor und meine Un-Bewusstheit der allergrößte Teil,
deshalb scheint mir ein Gang in das Dunkel meines Waldes angebracht, um Licht
ins Dunkel zu bringen. Oder um es zu beleuchten und dann wieder in seiner
Dunkelheit zu lassen, wenn es das so will. Jedenfalls: Meine Angst beleuchten,
um sie zu erlösen, denn da hält mich etwas gefangen und unfrei.
„Meine Wut an den
Mann bringen.“ Oder auch an die Frau. Das habe ich mich noch nie getraut. Ja,
ich gestehe mir meine Wut überhaupt nicht zu. Eher analysiere ich sie lieber
weg. Ich habe sie immer runtergeschluckt – gesoffen, in meiner
alkoholabhängigen Zeit. In solchem Ausmaß, dass ich beinahe er-soffen wäre. Mir
– oder einem anderen - zuzugestehen: „Ich bin wütend!“ – Das ist mir irgendwie
unbekannt. Wenn ich mal aggressiv
wurde, hat mein Gegenüber noch aggressiver reagiert, was mit Schmerzen
verbunden war, körperlicher Gewalt auch, in der letzten Beziehung vor meinem
Trockenwerden.
Ich vermute,
deshalb habe ich auch diese Probleme mit der Rapper-Scene, diese Angst vor
denen, vor ihrer Mother-fucking-keine-Ethik. Angst, dass sie Michel etwas tun
könnten. Die lassen ihre Wut und ihren Frust raus! Und ich habe Angst davor.
Warum?
Zum Einen habe ich
da noch was Un-Erlöstes. Zum anderen ist das aber auch, wie mir schwant,
einfach mein Angstthema, so wie andere
Angst haben wegen Lebenshaltungskosten oder Angst um den Job oder was wer hat.
Und ich könnte genauso gut davon ablassen und Frieden wählen; was versucht,
mich zu schwächen, zu vereinnahmen, fremd zu bestimmen, einfach ignorieren. Und
es ist auch kein Riesen-Thema, kein Mords-Akt. Es ist ein Thema, dem ich Achtsamkeit schenken kann, um es zu
transformieren, zu befreien, mich zu befreien oder mich befreien zu lassen.
Wir haben so viel
Hilfe und Unterstützung!! Alles in unserm Leben hilft uns. In der Situation vor
dem Donaudampfer z.B. hätte ich einfach
sagen können: „Das ärgert mich jetzt.“ Oder ich hätte ein entsprechendes
Geräusch machen können: „P-tsch-k!! Grrrrmmblh!!“ Auf so etwas bin ich aber in
dem Moment nicht gekommen. Jetzt habe ich’s im Hinterkopf und kann es
gegebenenfalls anwenden.
Ob ich mich das traue?! – Vielleicht sollte ich mich
auch einfach so annehmen, wie ich bin und mir nichts vornehmen, was mich
überfordert. Solange ich mich nicht traue, traue ich mich nicht, und vielleicht
braucht das einfach nur meine Liebe, Integration
und Anerkennung.
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