Mittwoch, 20. Juni 2018

Noch mehr Freiheit

Folgendes habe ich gestern Abend, nachdem ich mein Schreiben beendet und den PC ausgemacht hatte, gelesen: „Du kannst in Bezug auf die innere Transformation nichts tun. Du kannst dich selbst nicht verwandeln, und noch viel weniger kannst du deinen Partner oder sonst jemanden verwandeln. Doch du kannst einen Raum herstellen, in dem Transformation möglich ist, in den Gnade und Liebe eintreten können.
 
Immer, wenn deine Beziehung nicht funktioniert, wenn sie in dir oder deinem Partner den Wahnsinn zum Vorschein bringt, freu dich. Was im Unbewussten verborgen war, wird ans Licht befördert. Nun ist Erlösung möglich. (…) Wenn Wut da ist, wisse, dass sie da ist. Wenn Eifersucht, Abwehr, Streitsucht, Rechthaberei, ein inneres Kind, das Liebe und Aufmerksamkeit fordert, oder irgendein emotionaler Schmerz da sind – was immer es ist, erkenne die Wahrheit des Momentes und verweile in der Erkenntnis. Dann wird aus der Beziehung dein Sadhana, deine spirituelle Praxis.“ (Quelle: „Lebendige Beziehungen JETZT!“ von Eckhart Tolle)


Etwas später im Text steht: „Du hast sicher schon bemerkt, dass sie (Beziehungen) nicht dazu da sind, dich glücklich zu machen und zu erfüllen.“ Sondern dass Beziehungen dazu da sind, uns bewusst zu machen anstatt glücklich. Mit D. war es gestern auch so. Vor ein paar Tagen hatte ich den Gedanken, ich könnte ein Kapitel schreiben mit dem Titel „Beschwerdefreier Alltag“, weil wir uns solange nicht gestritten haben und nichts passiert, weswegen ich meine, mich über ihn beschweren zu müssen. Vor nicht langer Zeit haben wir öfters Konflikte ausgetragen. Gestern dann, empfand ich ihn mir gegenüber wieder als mürrisch und barsch und dachte: „Aha – gibt’s doch was zu schreiben von wegen Beschwerde über den Partner.“ Aber was soll ich mich beschweren und schreiben? Das kennt doch jeder zur Genüge: Beziehungskisten, wie das abgeht. Im Grunde ist es so, abgesehen von der ganzen Un-Bewusstheit, die sich in solchen Streits immer austobt: Ich treffe D. so an, wie ich zu ihm komme. Wenn ich streitsüchtig bin, ist er es auch. Wenn ich versöhnlich bin, ist er es auch. Und er wirft mich bei unseren Streitereien immer wieder auf mich selbst zurück. Er bietet mir keine (Er-) Lösung. 

Am Anfang habe ich darunter mächtig gelitten, weil: „Wie kann er nur!“ Und: „Er muss doch!“ Aber mit der Zeit, weil sich‘s auch nicht geändert hat, habe ich gelernt, anders damit umzugehen. Ich habe es im Grunde so gemacht, wie es im oben zitierten Text steht: Ich habe einfach alles so gelassen: Eifersucht, Ärger, den Streit, hab‘ mein inneres Kind gehalten und versucht, für mich wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Ich habe auch innerlich um Hilfe gebeten, die Engel oder Gott. Und ich habe versucht, D. nichts mehr vorzuwerfen, sondern ihn einfach so sein zu lassen. Ich war ja auch ätzend. Manchmal sind mir dadurch richtige Erleuchtungen zuteil geworden. Das war wunderbar! Einbrüche in die Liebe sozusagen. 

Es ist also im Grunde ganz einfach: Es bedarf keiner großartigen Bearbeitung und Aufarbeitung, das Wahrnehmen und Da-sein-lassen bringt schon die Er-Lösung. Nichts abwehren, sondern alles sein-lassen. Mehr braucht es nicht. 

 

– Ja, natürlich habe ich schon viel Therapie und Bewusstseinsarbeit gemacht, Psychologie und Esoterik sind meine Leidenschaft. Selbsthilfegruppen in Sachen Alkoholsucht, stationäre Therapie wegen dieser meiner Sucht, danach Einzel-Gesprächstherapien, dann Gestalttherapie in einer Frauengruppe, verschiedene psychologische und esoterische Wochenendworkshops, Reiki, Yoga, autogenes Training, spirituelle Gruppen, „WahrsagerInnen“, Familienstellen, Kryon-Bewusstseinsschule der neuen Zeit, die regelmäßigen Sitzungen bei meiner Tarotlehrerin und andere Orakel, die ich zu Rate ziehe und durch die ich mir ständig meiner Themen und Prozesse bewusst bin. Um das Wichtigste zu nennen. Für mich war das alles sehr hilfreich. Vieles davon hat mir sehr gut getan, ich habe viel erfahren und viel gelernt und es hat mich in meiner Entwicklung gefördert. Ich bin in meine Tiefen getaucht und habe Klarheit mitgebracht, manchmal auch Verwirrung. 

Manchmal habe ich auch nur Lehrgeld bezahlt oder es war nichts für mich, was aber letzten Endes die Erfahrung auch wieder wert war. Ich weiß nicht, ob ich ohne all das auch da wäre, wo ich jetzt bin, in diesem inneren Frieden, und es ist müßig, darüber zu spekulieren. Z. Zt. denke ich mir, ich muss nicht unbedingt dieses oder jenes Seminar machen, um geheilt zu werden und Erlösung zu erlangen, denn es liegt alles in mir. Ich kann was machen, wenn ich Lust dazu habe, aber ich muss nicht. Vielleicht ist es die Qualität der Zeit, die uns hilft, und die ganze innere Arbeit (und das Geld-ausgeben) sind nicht mehr nötig. 

Ich habe schon soviel Arbeit geleistet in der Beziehung und viele andere Menschen auch. Andere haben vielleicht an Themen gearbeitet, die für mich nicht so präsent waren, aber ihre innere Arbeit wirkt sich dennoch auch auf mich aus. Und was ich in mir gelöst habe, habe ich für die Welt gelöst. Ich sage das ohne Größenwahn. Ich sage das, weil ich glaube, dass es so ist. Die Prozesse eines einzelnen Menschen wirken sich global aus. Außerdem lebt jeder in seiner eigenen Welt. Ich sehe das, was ich sehe, und ein anderer sieht, auch wenn er direkt neben mir steht, das, was er sieht und empfindet, was er empfindet und das sind zwei unterschiedliche Welten. Oder? 


Bin ich jetzt wieder der vermeintlichen Trennung aufgesessen, die Illusion ist? Vielleicht sowohl als auch. Wir sind im Umbruch. „Hier wird alles  anders!“, wie D. gesagt hat, nicht nur in unser Haus und Hof, sondern überall, global, die Erde erneuert sich und wir sind mittendrin. Wir dürfen dabei sein! Ist das nicht wunderbar?! Dass die inneren Prozesse Einzelner sich auf alle auswirken, heißt vielleicht nicht, dass jeder dadurch automatisch von dem entsprechenden Problem erlöst ist, aber das Potential ist geschaffen, das Erreichen einfacher, weil es schon ein anderer erreicht hat. Man muss sich nur öffnen. Und ich glaube, vieles ist nun auch im Fluss und erreicht uns. Ganz von selbst. Was wirklich wichtig ist im Leben, erscheint einfach, leicht und ohne Mühe. 

Wenn wir uns um etwas bemühen, noch dazu, wenn es nicht gelingen will, sind wir auf dem Holzweg.

 

Donnerstag, 14. Juni 2018

Rapper-Space


Als wir aus unseren Ferien nachhause kamen, schrieb ich ein Kapitel, was ich am nächsten Tag wieder rausschmiss, weil ich das Gefühl hatte, dass mich die Beschäftigung mit seinem Inhalt eher beschwert als erleichtert. Hier ist es:
 
25. Juli 2008 - Grüner Tag zwischen den Maya-Jahren Ix 2 und Cauac 3.

Heute vor zwei Jahren waren D. und ich zum Mittagessen bei meinem Onkel. Ich hatte meinen letzten Arbeitstag im Kindergarten in S.. An Michel hat noch keiner gedacht. 

Reinigung. Ich habe das Bedürfnis nach Reinigung, innerer Reinigung, Befreiung, ausmisten, mich von Ballast zu er-lösen, altem, globalem, was garnicht meins ist, aber an mir hängt. Warum hängt das an mir? Warum beschäftige ich mich damit? Freiraum schaffen! Mich von dem lösen, was garnicht meins ist, verdammt noch mal! Was habe ich damit zu tun? Telefonsex, tote jüdische Kinder, Völkermord, Rapper-Space. 

Vielleicht irre ich gerade im Wald umher.  ? … ? … - …

Ich habe mir in unseren Ferien in Regensburg (u.a.) ein Buch gekauft, „Lipshitz“ von T Cooper, und in den vergangenen paar Tagen das meiste davon gelesen, irgendwie hat es mich gefesselt. Es ist die Geschichte einer jüdischen Familie, die in Folge eines Massakers Anfang des 20. Jahrhunderts von Russland nach Amerika auswandert. In jeder Generation verliert die Familie Kinder. Das erste wird während des Pogroms in Russland umgebracht, das nächste verschwindet im Getümmel beim Verlassen des Schiffes in New York, einer stirbt im Krieg, ein anderes ist einfach tot, das wird nicht weiter erwähnt, und zum Schluss schließt sich der Kreis, indem die Eltern des Autors, letzter Spross der Familie, in ähnlicher äußerer Szenerie (bei einem Autounfall) ums Leben kommen wie das ermordete Mädchen in Russland am Anfang der Geschichte. Dann macht das Buch einen Sprung und der Autor landet von der Erzählung der Familiengeschichte, die von 1905 bis 1942 ging, bei sich in der Jetztzeit. Diese Schilderungen habe ich nach drei Kapiteln aufgehört zu lesen. Das ist mir zu brutal. Er ist Rapper-DJ und zitiert Eminem, der „Frauen, Mädchen und Schlampen am meisten hasst“. Was ich bisher in diesem zweiten Buchteil gelesen habe, ist genau die Art von menschlicher Energie, die damals, 1905 in Kischinjow das elfjährige Mädchen umgebracht hat - junge, männliche Energie, der jegliche Ehrfurcht oder Wertschätzung abgeht.  – Soll ich das Buch bis zum Ende lesen? Entdecke ich dann was oder tue ich mir damit eher was an? – Dieser T ist Opfer und Täter in einem. Er hat das Blut des ermordeten Mädchens in sich und die Energie ihrer Mörder. Damit schließt sich der Kreis auch wieder. Das geht immer rundherum, rundherum. Und genau das will ich verlassen, diese Spielebene, Täter und Opfer will ich nicht mehr spielen. 

Gestern habe ich ein paar anzügliche sms geschickt bekommen. Ob ich ein paar „geile“ Bilder haben möchte, in der Art. Ich habe nicht auf meine innere Stimme gehört, die  deutlich, aber leise sagte, ich solle nicht darauf reagieren, sondern ich hörte  auf meinen Alltagsverstand, der gleich danach sagte: „Vielleicht hat dir jemand ein Foto geschickt“, denn in der ersten sms hieß es nur, ein Telegramm und ein Bild seien für mich hinterlegt. Das anzügliche Geschreibsel kam erst, nachdem ich rückgefragt hatte, worum es sich handele. Jedenfalls ging das ein paar Mal hin und her und ich habe insgesamt 4 sms zurückgeschickt mit dem Inhalt, ich möchte in Ruhe gelassen werden, was mich jetzt wahrscheinlich gut 8,- € gekostet hat, denn irgendwann kam die Nachricht: Willkommen im Chat: 1,99 € / sms zzgl. normaler Gebühren. Als dann noch eine sms kam, ob ich ein erotisches Foto von ich-weiß-nicht-wem haben wolle, habe ich bei unserer städtischen Polizeistation angerufen und gefragt, was ich tun könnte. Da war ein ganz Gemütlicher am Telefon. Der sagte erstmal garnichts. Dann erzählte er mir auf oberhessisch, er habe auch schon mal so ähnliche sms bekommen, da habe aber jemand geschrieben, er/sie würde ihn gerne kennenlernen. Seine Frau habe das gelesen, da sei aber was Schönes los gewesen. Er habe das dann ignoriert, die sms, und ich solle es doch auch so machen. Falls noch was käme, an Kosten, außer diesen acht Euro, könne man immer noch dagegen vorgehen. 

Das war ein angenehmes und lustiges Telefongespräch! Das war das Ganze dann schon wieder wert. 

Jedenfalls macht es keinen Sinn, auf diese sms zu antworten. Das ist auch nur Ping-pong-Spielen und kostet mich noch dazu unangemessen viel Geld. Loslassen also. Ignorieren, auch, wenn es lästig ist. Mich darauf einzulassen und mich damit auseinander zu setzen, fesselt mich nur daran. … – Ist das mit meinem Männerthema auch so? Löst sich das auch von selbst? Habe ich das nur, weil ich glaube, dass ich es habe? – Ich lasse das Ganze sich einfach entwickeln und beobachte die Entwicklung. Wenn ich mich zu sehr damit beschäftige, verhaspele ich mich vielleicht in etwas, was nicht ist.


Da ist noch eine Begebenheit, von der ich mich reinigen will: Die paar Tage, die wir letzte Woche weg waren, verbrachten wir bei Michels Patenonkel in Bayern. An einem Tag wollten wir auf der Donau Schiff fahren. Als wir aus dem Auto stiegen, nieselte es und D. machte ein missmutiges Gesicht und brummelte was von „wenn Michel krank wird“. Daraufhin reagierte der Onkel sauer und raunzte, er habe jetzt keine Lust mehr und wir könnten ja auch wieder heimfahren. Am vorigen Tag sei es auch nicht okay gewesen, was wir gemacht hätten. Wir waren in Regensburg im Donau-Einkaufszentrum bummeln, wegen des unbeständigen Wetters unter Dach. Auf der Heimfahrt kamen wir durch Burglengenfeld. D. fragte, ob es da auch wirklich eine Burg gäbe und als der Onkel bejahte, sagte D.: „Da fährt er mit uns in ein Einkaufszentrum und hier gibt es eine Burg!“ D. geht nicht gerne bummeln, das weiß ich, davon hat man aber im Donau-Einkaufszentrum nichts gemerkt, meine ich. Michels Patenonkel kommt, glaube ich, weniger auf die Idee, eine Burg zu besichtigen, in einen Tierpark zu fahren oder so etwas in der Art. Er ist eher geistig orientiert, lesen, im Bücherladen stöbern, ins Theater gehen und so Sachen. Am Morgen hatte er mir gesagt, sein Vater, der mit im Haus wohnt, sei heute völlig überfordert, weil er übers Wochenende wegfahre; mit dem Packen und dem Außergewöhnlichen. Hinterher, nach dieser kleinen Eskalation auf dem Parkplatz, dachte ich mir, er hat damit vielleicht auch (unbewusst) eine Botschaft von sich gegeben. Dass es anstrengend ist, sich um uns, seinen Besuch, zu kümmern und er vielleicht lieber ein bisschen Ruhe hätte. Und D. und mir hätte eine Stunde Zweisamkeit auch gut getan, aber wir hatten ja was vor. 
 
So hat einer seinen Unwillen auf den anderen übertragen, projiziert, oder auf’s Wetter, und dem Vorwürfe gemacht, anstatt vorher die eigene Befindlichkeit wahrzunehmen, ernst zu nehmen und mitzuteilen, was man will bzw. was man nicht will. Vielleicht hätte jedem eine Auszeit gut getan, zuhause bleiben, schlafen, lesen, ausruhen, reden. Stattdessen haben wir „den anderen zuliebe“ zusammen etwas unternommen. So ungefähr war das. Und so ist es manchmal. Und das ist nicht gut! Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn man sagt, was man möchte, auch, wenn man denkt, dem anderen käme das ungelegen, sich gerade dadurch eine Situation ergeben kann, die auch den anderen bereichert, ihm einen Freiraum schenkt. Und dass es zu nichts Gutem führt, wenn man entgegen dem handelt, was man für sich selbst gerade braucht. 


Ich sah die beiden erstmal nur groß an, da auf dem Parkplatz, weil ich auch nicht sofort checkte, was eigentlich los war, und reagierte garnicht. D. blieb auch sehr ruhig. (Vorgehaltene Hand: Das hat mich gewundert, weil bei uns beiden manchmal aus solch einem Anlass die Fetzen fliegen.) Unser Gastgeber beruhigte sich etwas und wir fuhren dann doch mit dem Schiff zum Kloster Weltenburg und es war auch schön. Ich fand’s schön. Zu Anfang auf dem Schiff fühlte ich mich allerdings noch beklommen und überlegte, ob ich zu dem Thema noch etwas sagen sollte, weil die beiden Männer schwiegen. Ob ich fragen sollte, ob es noch was zu klären gäbe. Dann dachte ich aber, das lasse ich jetzt bei den beiden, das liegt nicht in meiner Verantwortung.

Irgendetwas haben die beiden miteinander gehabt in diesen Tagen, irgendwas hat einer dem anderen gespiegelt. Und vielleicht hätten wir einen Tag einfach mal nichts machen sollen. Ich glaube, wir hatten alle das Bedürfnis nach Ruhe und sind das einfach übergangen. Über uns selbst weggegangen und dann waren wir sauer auf den anderen. Oder aufs Wetter.


Heute (25. Juli) ist der grüne Tag im Mayakalender, der Tag außerhalb der Zeit, an dem man darauf achten kann, was geschieht, als Vorausblick auf das neue Jahr. Ich habe heute viele Leute getroffen, die ich kenne, von irgendwoher aus meinem Leben, aus den verschiedensten Konstellationen. Das erdet mich. Ich weiß: Ich bin am rechten Platz. Hier ist meine Heimat. Ohne mich daran zu binden. Das ist schön. Das ist wirklich so: Durch die Menschen, die ich heute getroffen habe, das, was wir miteinander geredet haben … ich fühle mich hier, wo ich lebe, eingebunden, verbunden, aber nicht ge-bunden. Ich fühle mich hier richtig wohl! Ich bin gern hier.
 
Besuch hatten wir heute auch: eine Freundin und ihr Mann. Ich hatte ein bisschen Angst vor schweren Themen, Opfer-Themen: gequälte Tiere, teurer Sprit, Probleme an der Arbeit. Bei früheren Treffen habe ich oft unter der Übermacht solcher Gesprächsthemen gelitten. Heute wurde auch so gesprochen, aber ich bin nicht darauf eingegangen und – vielleicht noch wichtiger! – ich habe nicht dagegen angekämpft, auch nicht innerlich. Ich habe sie einfach reden lassen und versucht, nicht zu leiden - und das hat geklappt, fällt mir gerade auf. Es wurde sogar noch ein richtig schöner Nachmittag, leicht, lustig und geerdet. So war es heute irgendwie: geerdet. Und den ganzen Ballast, der mir hin und wieder noch Kopfschmerzen macht, schieße ich mit Cauac, dem blauen Sturm, in den Wind! Auf Nimmerwiedersehen! Morgen beginnt das neue Maya-Jahr: Cauac 3, Cauac, die Kraft der Selbst-Erneuerung, intensive Gefühle, Neu-Strukturierung und der Ton 3, der elektrische Ton des Dienens: der eigene Rhythmus, Handeln, Kreativität, Tatendrang. 

Na dann: Cauac komm, um mir zu dienen! Uns zu dienen!


Dieses Kapitel war also aus den eingangs genannten Gründen rausgeflogen. Ich wollte auch nicht wieder über andere schreiben / reden. Aber wie soll ich veranschaulichen, wie’s mir geht, welche Gegebenheiten in mir welche Prozesse bewirken? Also, Ihr Lieben, die ich Euch aufgeführt habe, seid bitte nicht sauer. Ich danke Euch, dass Ihr mir als Spiegel und Lernhilfe dient! 

In der Konfliktsituation am Donaudampfer fühlte ich mich auch selbst bedroht und hatte meine Angst und meinen Ärger heruntergeschluckt. Es war beides in dieser Situation: Ich war ruhig und gelassen und musste deshalb nicht reagieren, es war aber auch so, dass ich mich angegriffen fühlte, es schluckte und mich nicht traute, meine eigene Wut an den Mann zu bringen. Dabei hätte es vielleicht garnicht viel gebraucht. Obwohl das mit dem Runterschlucken-meiner-Wut für mich ein Thema darstellt, ist, wie ich vermute, meine Angst davor und meine Un-Bewusstheit der allergrößte Teil, deshalb scheint mir ein Gang in das Dunkel meines Waldes angebracht, um Licht ins Dunkel zu bringen. Oder um es zu beleuchten und dann wieder in seiner Dunkelheit zu lassen, wenn es das so will. Jedenfalls: Meine Angst beleuchten, um sie zu erlösen, denn da hält mich etwas gefangen und unfrei.

„Meine Wut an den Mann bringen.“ Oder auch an die Frau. Das habe ich mich noch nie getraut. Ja, ich gestehe mir meine Wut überhaupt nicht zu. Eher analysiere ich sie lieber weg. Ich habe sie immer runtergeschluckt – gesoffen, in meiner alkoholabhängigen Zeit. In solchem Ausmaß, dass ich beinahe er-soffen wäre. Mir – oder einem anderen - zuzugestehen: „Ich bin wütend!“ – Das ist mir irgendwie unbekannt. Wenn ich mal aggressiv wurde, hat mein Gegenüber noch aggressiver reagiert, was mit Schmerzen verbunden war, körperlicher Gewalt auch, in der letzten Beziehung vor meinem Trockenwerden. 

Ich vermute, deshalb habe ich auch diese Probleme mit der Rapper-Scene, diese Angst vor denen, vor ihrer Mother-fucking-keine-Ethik. Angst, dass sie Michel etwas tun könnten. Die lassen ihre Wut und ihren Frust raus! Und ich habe Angst davor. Warum?

Zum Einen habe ich da noch was Un-Erlöstes. Zum anderen ist das aber auch, wie mir schwant, einfach mein Angstthema, so wie andere Angst haben wegen Lebenshaltungskosten oder Angst um den Job oder was wer hat. Und ich könnte genauso gut davon ablassen und Frieden wählen; was versucht, mich zu schwächen, zu vereinnahmen, fremd zu bestimmen, einfach ignorieren. Und es ist auch kein Riesen-Thema, kein Mords-Akt. Es ist ein Thema, dem ich Achtsamkeit schenken kann, um es zu transformieren, zu befreien, mich zu befreien oder mich befreien zu lassen. 

Wir haben so viel Hilfe und Unterstützung!! Alles in unserm Leben hilft uns. In der Situation vor dem Donaudampfer z.B.  hätte ich einfach sagen können: „Das ärgert mich jetzt.“ Oder ich hätte ein entsprechendes Geräusch machen können: „P-tsch-k!! Grrrrmmblh!!“ Auf so etwas bin ich aber in dem Moment nicht gekommen. Jetzt habe ich’s im Hinterkopf und kann es gegebenenfalls anwenden. 

Ob ich mich das traue?! – Vielleicht sollte ich mich auch einfach so annehmen, wie ich bin und mir nichts vornehmen, was mich überfordert. Solange ich mich nicht traue, traue ich mich nicht, und vielleicht braucht das einfach nur meine Liebe, Integration und Anerkennung. 


Freitag, 18. Mai 2018

Freiheit

Vorbemerkung anlässlich der Veröffentlichung im Blog:

Beim Aufarbeiten des Kapitels für seine Veröffentlichung hier im Blog, bin ich wieder ganz begeistert davon, was Internet alles möglich macht! Die Filme, von denen ich schreibe, gibt es beide in voller Länge auf youtube und ich verlinke nach Herzenslust! 💖 😍 😊 Wer mag, kann sie sich bei Gelegenheit anschauen. 

Auch das erwähnte Buch kann angeklickt und bei Interesse erworben werden. Und den "Kurs in Wundern" habe ich sogar in seiner Gesamtheit als PDF-Datei gefunden - jeder kann ihn frei zugänglich studieren.

Ich find's klasse, diese Multi-Media-Möglichkeiten! mmm im www   

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Das folgende Kapitel enstand am 4. August 2008 und die Erläuterungen aus dem Mayakalender beziehen sich auf diese Zeit.

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Gestern Abend war ein „Polizeiruf“-Krimi im Fernsehen in dem eine junge Frau mit Down-Syndrom eine Hauptrolle spielte. Der Kriminalfall im Film kam garnicht so sehr zum Tragen, viel mehr Raum nahmen die Geschichten der Beziehungen der Menschen ein, der „behinderten“ und „nichtbehinderten“: Wie der einarmige Kommissar Tauber und Rosi mit dem Down-Syndrom in Beziehung treten z.B. Eine andere Szene zeigte, wie Rosi mit ihrem ebenfalls behinderten Freund intim wird. 
 
Ich fand diesen Film voll gut! Ich finde es gut, wie „behinderte“ Menschen so neu integriert werden. Früher war das anders. Dieser Film war irgendwie „normal“, ohne Klischees, nicht dramatisierend und nicht beschönigend. 

Rosi war schwanger. Ihre Mutter war die Leiche im Film. Und ihr Vater, mit seiner neuen Frau, war mit Rosis Baby überfordert und lies es ihr abtreiben. Das war traurig. Aber das Ende des Films war auch irgendwie so gestaltet, dass man sich den Ausgang eigentlich selbst aussuchen kann. Ist das Kind nun abgetrieben oder nicht? Etwa so, wie der Film „Lola rennt“. Es gibt immer mehrere Möglichkeiten. Man hat die Wahl. 

Immer im Leben hat man die Wahl. Auch wenn man meint, dass das nicht so sei und man stünde mit dem Rücken zur Wand. Vielleicht machen sich gerade jetzt, in dieser Zeit – hohe Öl-  und Lebensmittelpreise, Arbeitslosigkeit, Zusammenbruch des Finanzsystems - viele Menschen große Sorgen – aber: haben sie das nicht schon immer getan? Macht man sich nicht immer mal irgendwelche Sorgen? 

Wenn man genauso gut Frieden wählen kann!? 

„Ich wähle Frieden und lege meine Zukunft in Gottes Hände.“ (Das ist aus „Ein Kurs in Wundern“.) Und sowieso ist „die Zukunft“ garnicht da, sondern nur das Jetzt.  

Gestern waren wir mit Freunden Eis-essen. Da drehte sich die Unterhaltung auch sehr um diese Themen des Mangels: schlechte Arbeitsbedingungen oder keine Arbeit, wer welche Krankheit hat, leere Geschäfte in der Innenstadt … ich mag mich da jetzt nicht hinein vertiefen. – Früher habe ich immer dagegen angekämpft: „Ja, aber … man kann das doch auch so und so sehen.“ (Leere Geschäfte z.B. sind potentieller Raum für Neues.) Das hat die Fronten stets noch mehr verhärtet und ich wurde oft angegriffen. Jetzt kämpfe ich nicht mehr gegen die Klagen an, auch nicht innerlich. Ich lass‘ die Leute reden und bringe ab und zu meine Gedanken an. Damit geht’s mir besser und wir sind alle mehr im Fluss. 

Ein paar meiner alten Freundschaften sind dadurch auf der Strecke geblieben. Ich konnte das Gejammer nicht mehr hören. Ich habe das Sich-beklagen nicht mehr ertragen und das ewige Festhalten an Geschehnissen von vorvorgestern, an Ex-Männern („Das kannst Du nicht verstehen, Du warst mit Deinem Ex nicht so lange zusammen.“) oder schlimmen Begebenheiten aus der Kindheit. Auch das kann man ändern!!! Ich habe selbst die ersten acht Wochen meines Lebens in einem Gitterbett in der Kinderklinik verbracht und dachte jahrelang, dass ich dadurch und wegen des Weitergangs meiner Lebensgeschichte unheilbar traumatisiert sei. Das war ich wahrscheinlich auch, schwer traumatisiert. Das erste Mal, dass ich einen Eindruck von Heilung-ist-möglich bekam, war während einer Gruppentherapiestunde in der Klinik der „Trinkerheilanstalt“. Als ich trocken wurde, war ich 9 ½ Wochen stationär in Therapie. Diese Gruppentherapie damals trug den Titel „Zärtlichkeit und Meditation“, wenn ich mich recht erinnere. Bis dahin waren diese ersten acht Wochen meines Lebens und die fehlende Zärtlichkeit in meiner Familie, die ich stets als körperliches Kältegefühl empfand, für mich wie ein schwarzes Loch. Ein schwarzes, bodenloses Loch, kalt und mit nichts zu füllen. In einer dieser Zärtlichkeit und Meditations-Stunden hatte ich in der Meditation die Empfindung eines Sonnenaufgangs von meinen Füßen her. (Bis dahin hatte ich immer kalte Füße. Heute ist das nicht mehr so.) Ein orangefarbener Sonnenaufgang, der Wärme brachte. Es ist zu mir gekommen, aus mir heraus aufgestiegen. Aus meinen Tiefen. Oder aus einer größeren Tiefe, mit der ich verbunden bin und die ich letztendlich auch bin. Gott. Vater-Mutter-Kind-Tiere-Pflanzen-Steine-Alles-Gott.


Also: Haltet inne, gesteht Euch Eure schwarzen Löcher ein und vertraut Eurem Leben. Vertraut Euren Prozessen. Sie bringen Euch zu Gott. Sie bringen Euch nachhause. Direkt ins Paradies. Über kurz oder lang. Ich glaube eher, ziemlich rasch. 

Wir haben Cauac 3 im Maya-Kalender, das Jahr des blauen, elektrischen Sturms, 26. Juli 2008 bis 24. Juli 2009. Der wird uns ordentlich aufwirbeln, dieser blaue Sturm, und uns in unser Licht bringen! Er kommt, uns zu dienen, der Ton 3, und da kann keiner mehr festhalten. Wind of change! 

Geht in den inneren Frieden und legt Eure Zukunft in Gottes Hände. Auch wenn oder gerade weil! Ihr dieser Gott selbst seid. Wir werden uns selbst alle das Beste und Schönste schenken, ganz bestimmt! Wie sollte jemand etwas anderes wollen? Was willst Du? Was willst Du? Was will ich? Nicht: Was will ich nicht? Sondern: Was will ich?

Ich will z.B. all die Unterstützung annehmen, die an jeder Ecke die Arme für mich ausbreitet, um den Bogen zum Anfang dieses Kapitels zu schlagen, denn ich wollte darüber schreiben, was mich in Bezug auf Michels Down-Syndrom vom letzten Rest Beklemmung befreite. Davon war nämlich noch etwas in mir, die ersten Monate von Michels Leben. Vielleicht resultierte das aus einer Ungewohntheit und Unsicherheit im Umgang mit „Behinderung“, anders-sein, obwohl Michel von Anfang an „normal“ für mich war, selbstverständlich. Aber mir war früher selbst mulmig im Umgang mit „Behinderten“. (Ich frage mich immer, wer eigentlich mehr „behindert“ ist, die „Behinderten“ oder die „Normalen“.) Ich war unsicher, wie ich mit ihnen umgehen sollte. Aber das war ich mit anderen, „normalen“ Menschen auch. Ja. Wie auch immer. 

Jedenfalls hatte ich noch, wenn auch geringe, Beklemmungen, ich war noch nicht völlig frei mit Michels Down-Syndrom. Meine Tarotlehrerin, hatte mich auf ein Buch aufmerksam gemacht: „Das Leben ist schön“ von Simone Fürnschuß-Hofer. Das wünschte ich mir zu meinem Geburtstag Ende Januar und bekam es geschenkt. In diesem Buch werden neun österreichische Familien mit Kindern mit Down-Syndrom porträtiert. Die Kinder sind von ganz klein bis ca. 30 Jahre alt. Dieses Buch stellt die Andersartigkeit so „normal“ dar – mir fehlen wieder die Worte – so nichts-beurteilend, nicht-bewertend, nicht dramatisierend und nicht beschönigend, einfach so, wie es ist. 

Für mich war das der letzte Akt der Befreiung in Sachen „Wir haben ein Kind mit Down-Syndrom“. 

Und es geht ja nicht nur um die Andersartigkeit, sondern um die Andersartigkeit im Miteinander mit dem Gewohnten. Das ist es doch! Das waren meine Ängste. Wird Michel angenommen, so, wie er ist, oder wird er verspottet, bekämpft, wird ihm Leid zugefügt? Und jetzt beißt sich die Katze in den Schwanz, denn nun kann ich mich sorgen, mich gedanklich festbeißen, kann mir Kopf-Kino machen, oder ich bleibe bei dem, was mein Leben mir zeigt: Michel wird mit Freuden angenommen. Die Menschen begegnen ihm freundlich, unvoreingenommen und interessiert. Ja, die ersten Monate seines Lebens hat er überall, wohin ich ihn mitnahm, wahre Wogen des Entzückens ausgelöst: „Ach, ist der süß!!“ Das sagten schon die Hebammen-Schülerinnen in der Uni-Klinik: „Der kleine Michel ist so süß!“ Für mich war er sowieso das schönste Baby! Am Anfang dachte ich, die Leute sagen das einfach so und bei jedem Kind, aber mit der Zeit glaubte ich ihnen, dass sie es ernst meinen. 

   
 
Manche Menschen scheinen irgendwie magisch zu Michel hingezogen zu werden. Er hat heilende Kräfte. Allein durch seine Ausstrahlung.






Sonntag, 13. Mai 2018

Holy child - Wir haben ein Kind mit Down-Syndrom


In der Nacht wurde Michel mir gebracht. Er war inzwischen wieder im Kinderzimmer der Frauenklinik. Ich war in ein Dreibettzimmer zu zwei anderen Niedergekommenen gelegt worden. Michel war aufgewacht und ich wollte ihn stillen. Das klappte nicht. Die Frau, die ihn gebracht hatte, Schwester oder Hebamme, drückte an meiner Brustwarze und wurschtelte mit Michel herum und ich konnte mich nicht richtig bewegen, weil ich noch arge Schmerzen nach dem Kaiserschnitt hatte. Die Situation war sehr unbefriedigend. 
 
Wir hätten viel mehr Zeit und Zärtlichkeit gebraucht, Michel und ich. Beides gewährte uns die Schwester nicht. Sie sagte, sie müsse wieder zurück ins Kinderzimmer und würde ihm ein Fläschchen geben, weil er „doch groß werden“ müsse. Ich wollte aufstehen und mitgehen und das Stillen dort versuchen, aber das packte ich noch nicht. 

Das mit dem Stillen hat nie wirklich geklappt. Und es war ein solches Ideal von mir! Ich hatte zwar enormen Milcheinschuss die beiden Tage nach der Geburt, mit dicker, heißer Brust, aber dann kam nie viel Milch heraus. Ich versuchte, den Milchfluss durch Abpumpen in Gang zu bringen, weil Michel beim Stillen manchmal schier nichts herauszog. Er wurde vor und nach dem Stillen aufs Gramm gewogen. Aber es kamen kaum mehr als 20 ml pro Brust. 

Nachdem wir das auch zuhause ein paar Wochen lang praktiziert hatten: Stillen (der Versuch), Fläschchen geben, abpumpen, heulte ich mich darüber einmal bei meiner Hebamme, die zu uns ins Haus kam, aus - auch über den miserablen Start in dieser ersten Nacht und dass ich mich gegen diese raue Schwester nicht gewehrt hatte. 

Aber nach einiger Zeit sah ich auch das Geschenk für mich in dieser Gegebenheit, denn dadurch, dass ich nicht stillte, bekam ich Freiraum. Ich konnte z.B. zu meinem monatlichen Tarot zu Shakti fahren. 

Und: Ich verzieh meiner Mutter, die mir gesagt hatte, das mit dem Stillen habe nicht geklappt als ich ein Säugling war. Vorher grollte ich ihr und unterstellte ihr innerlich, sie habe es nicht gewollt, es mir aus Bequemlichkeit oder warum auch immer vorenthalten, und dann sagt sie mir, es ging halt nicht, und ich stehe da und kann nichts dagegen tun, keine Zärtlichkeit einfordern, keinen Körperkontakt. Jetzt ging es bei mir auch nicht, obwohl ich  es so sehr wollte.

Michel und ich sind Michel und ich, auch ohne gelungenes Stillen. Unsere Beziehung hat Zärtlichkeit und Innigkeit. Ich meine sogar, dass es genau so, wie es gewesen ist, ein größerer Segen ist, als wenn es geklappt hätte, weil es in mir dieses Verzeihen meiner Mutter gegenüber bewirkt hat. 

Michel hat heilende Kräfte, allein durch sein Da-Sein. Das habe ich in der Auswirkung auf andere schon des Öfteren wahrgenommen, aber … anscheinend wirkt das auch auf mich. 

… - …
Ich habe überlegt, wie ich jetzt weiter schreiben soll, ob ich all das, was in der Klinik war, aufschreiben soll und: Ich habe meinen Artikel für die Zeitschrift zum Down-Syndrom gelesen. Der bringt alles so gut zum Ausdruck, mein Empfinden und Erleben, und ich füge ihn jetzt, so, wie ich ihn abgeschickt habe, hier ein:

Wir haben ein Kind mit Down-Syndrom

Er heißt Michel und wurde am 20. April 2007 geboren. Die Geburt war ein geplanter Kaiserschnitt, weil ich Myome in der Gebärmutter hatte und der natürliche Weg nicht frei war. 

Wir wussten das vorher nicht, dass Michel das Down-Syndrom hat. Wir hatten keine Fruchtwasser-Untersuchung machen lassen, denn wenn da „was festgestellt“ worden wäre … man weiß doch nie, was das für ein Mensch ist, der da rauskommt, und ich hätte mir/wir hätten uns dann nur ein paar Monate lang Sorgen gemacht. Um ungelegte Eier quasi. 

Die Geburt war – ich weiß nicht, wie ich das be-schreiben soll. So ganz neu, noch nie da-gewesen. - Am Tag vorher war ich traurig, dass morgen die Schwangerschaft zuende sein sollte. Und ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen,  dass das Kind dann da wäre. (Michel ist mein erstes Kind und ich war 42 als er zur Welt kam.) - Und es war dann so: Ich konnte garnichts machen, war völlig ausgeliefert, musste mich dem, was (mit mir) geschah einfach hingeben, vertrauen, den Geschehnissen, den Menschen. -  Und ich wurde getragen, gehalten. Alle waren sehr professionell und jede/jeder auf seine ganz individuelle Art menschlich und klasse. Diese Geburt war klasse! Für mich. Von außen betrachtet wahrscheinlich gar nichts Besonderes und halt ein sehr irdischer Vorgang, noch dazu nicht besonderes natürlich. – Ich hatte die Vorstellung, früher mal, falls ich je ein Kind gebären sollte, dann würde ich das in einer roten Höhle, die man sich ja zu diesem Anlass hätte einrichten können mit Tüchern und Decken, und bei Trommelmusik tun. – Und jetzt lag ich da in der Uni-Klinik (!! Noch nicht mal in einem  Geburtshaus oder einer Hebammen-Praxis, geschweige denn zuhause!), im gekachelten und gestählten OP-Raum (!! Noch nicht mal in einem der hübschen Entbindungszimmer!) und Musik lief auch keine, jedenfalls habe ich keine wahrgenommen, aber irgendwie, ich weiß auch nicht, war nicht nur die irdische Ebene präsent, sondern das waren alles Engel in Menschengestalt und ein paar unsichtbare Engel waren auch noch da. Das war nicht rein irdisch. Oder vielleicht irdischer als sonst. Ich war so ganz tief drin, so verbunden und doch so weit weg, so frei. Ich kann das nicht beschreiben, mir fehlen die Worte dafür.

Schlecht war mir auf einmal auch, von der Spinal-Betäubung. Als sie mich zugenäht hatten und ich Michel das erste Mal in den Arm gelegt bekam, hatte ich Angst, ich müsste mich übergeben. Musste ich aber nicht. Und sie haben mir den Michel auch nicht lange gelassen, sondern wieder weggenommen und irgendwas gesagt von „muss in die Kinderklinik“, und irgendein Wert sei „nicht gesättigt“. Ich war nicht ganz klar. D. saß neben mir, Michels Papa. Dann kam ein Kinderarzt ins Zimmer, in rotem Kittel, der setzte sich ans Fenster und erzählte in etwas bemüht unbeschwertem Tonfall und ein bisschen gezwungen heiter aufgesetzter Miene was von Verdacht auf Down-Syndrom und es würde noch eine Blutuntersuchung gemacht werden, um sicherzugehen.  Ich sah vor meinem inneren Auge Gesichter von Menschen mit Down-Syndrom, von „gesund, halt nur anders“ mit dem Gefühl: ‚Dieser Mensch ist eine Bereicherung für seine Mitmenschen‘ bis „liegt im Spagat mit dem Oberkörper flach auf dem Boden, rollt die Zunge im offenen Mund und kann auch sonst nichts“ mit einem beklemmenden Gefühl von Betroffenheit und Hilflosigkeit. Und ich dachte: ‚Was redet der da? Mein Kind?‘ und ich wollte es nicht wahrhaben. 

Den Rest des Tages verbrachte ich“ im Tran“ und dann fingen auch die Schmerzen an, als die Betäubung nachließ. Trotzdem war ich da schon in diesem „behüteten Space“ , der die ganze erste Woche von Michels Leben, die wir in der Klinik verbrachten, da war.

Michel sah ich dann wieder in der Nacht als ihn mir eine Hebamme aus dem Kinderzimmer brachte weil er aufgewacht war und Hunger hatte. Da hatte er die Augen zu. Und den ganzen folgenden Tag machte er sie auch nicht auf, auch nicht, wenn er wach war. Und ich dachte: ‚Ach, der wird das nicht haben. Die irren sich. Der Befund der Blut-Untersuchung wird negativ sein.‘  Aber als er die Augen das erste Mal aufmachte, da sah ich, dass er „es“ doch hat. Als ich mit D. telefonierte, sagte ich ihm das. Dass Michel „das“ hat. Naja. Und dann hat er’s halt. D. wusste sowieso nicht so recht, was das überhaupt ist. Ich selbst hatte schon Menschen mit Down-Syndrom kennengelernt als ich im Rahmen meiner Erzieher-Ausbildung ein Praktikum in einer Behinderten-Werkstatt gemacht hatte. (Wie es mir widerstrebt, dieses „Behinderten“-Werkstatt zu schreiben. Heißt das eigentlich wirklich so oder führt es eine andere Bezeichnung? ) Aber ich kannte nicht wirklich einen, bei uns im Ort oder in der Umgebung, da war weit und breit keiner. O wei! Michel, mein Sohn – der einzige Mensch mit Down-Syndrom weit und breit! Meine erste Angst war, dass meine Nachbarn oder andere Rüpel zu Michel „Spast“ sagen könnten und zu mir: „Selbst schuld! Bist schon so alt!“ – Diese Angst ist übrigens völlig verschwunden und sollte wirklich mal einer sowas sagen, würde ich ihm für den „Spast“ eine scheuern, denke ich im Moment, und dem „selbst schuld, weil zu alt“ gar keine Beachtung schenken.

Als Nächstes überlegte ich mir, was ich geantwortet hätte, wenn ich vorher, vom Himmel oder so, gefragt worden wäre, ob ich ein Kind mit Down-Syndrom nehmen würde oder gar will. Und ich erkannte, dass ich mich nicht getraut hätte, JA zu sagen, eben weil ich mich nicht getraut hätte, so aus dem Rahmen zu fallen, aber jetzt, wo ich’s hatte, da fühlte ich mich zutiefst geehrt und aufs Wunderbarste beschenkt. Dieses Empfinden keimte da schon mit Macht in mir auf. Da ahnte und wusste ich schon, dass das mit Michel nichts Schlimmes ist, sondern eher so eine Art Zugabe. Halt ein Chromosom mehr in jeder seiner Abermillionen Zellen.

 Aber zwei, drei Tage, um den Sachverhalt wirklich vollkommen anzunehmen, habe ich schon gebraucht. Ich habe nicht wirklich dagegen angekämpft. Ich habe nicht gedacht: ‚Warum ich/warum wir? Kann er nicht einfach „normal“ sein?‘ - Irgendwie hat mein tiefstes Inneres sich da schon hüpfend gefreut über dieses ganz besondere Geschenk. - Im ersten Moment wollte ich es nicht wahrhaben, wie gesagt, aber eher mit der Intention, dass ich nicht (schon wieder, oder vielleicht eher: so offensichtlich) anders sein wollte als die anderen, dass ich meinte, mich das nicht zu trauen, dachte, ich hätte nicht den Mut dazu. Aber ich bin ganz schnell und sanft dahin gekommen, zu empfinden, dass es gar keinen Mut braucht, dass es einfach selbstverständlich so ist, dass es nur Annahme braucht und dass es eine – am liebsten würde ich jetzt schreiben: gewaltige – eine große Ehre und das allerschönste Geschenk ist, das mein Leben mir gemacht hat, bis jetzt, Michels Mama zu sein.

Das mit dem „einen Chromosom mehr in jeder seiner Abermillionen Zellen“ ist übrigens eine Aussage von Conny Rapp in ihrem  Foto-Buch „Außergewöhnlich“ (7). Das hatten sie in der Klinik im Schwesternzimmer und gaben es mir zur ersten Info. Ich glaube, dieses Buch hat mir auch gleich geholfen, das Ganze sanft anzunehmen, (Hirn-)Gespinste zu neutralisieren, gar nicht erst aufkommen zu lassen, einfach durch die Bilder und durch die wenigen Texte. Für mich war das gerade das Richtige für eine erste Info. Für mich war an diesen ersten Tagen in der Klinik sowieso alles „irgendwie genau richtig“. Ich habe mich so beschützt und geführt gefühlt.

Am dritten oder vierten Tag, als das positive Ergebnis des Bluttestes dann auch vorlag, gab uns der „Kinderarzt im roten Kittel“  ein Informationsgespräch über das Down-Syndrom. Das war auch klasse! Wie soll ich das sagen? Die Menschen waren alle so wunderbar, so bemüht um uns und um Michel. So voller Liebe. Die haben ihn auch einfach gleich (an)genommen, wie er war, und vielleicht uns zwei, Vater und Mutter, erstmal etwas beäugt, wie wir das Ganze aufnehmen und damit umgehen. Dr. Faas (im roten Kittel) sagte in diesem Gespräch auch, dass viele Eltern, die ein Kind mit Down-Syndrom bekommen, erstmal eine ganze Woche lang weinen. Geweint hatte ich auch, aber die ersten Tränen, wegen des erkannten Down-Syndroms, das waren irgendwie so Unsicherheitstränen, im Sinne von: in so einer Situation muss man weinen, und die nächsten Tränen, die ich wegen Michels Down-Syndrom vergoss, die waren, weil ich so berührt war von Texten aus Conny Rapps Buch, als sie das schreibt mit den Schutzengeln und die Geschichte von „Holland statt Italien“.

Es war heilig, was geschehen ist. Die ganze Zeit in der Klinik habe ich das so empfunden. Und als wir nachhause kamen, war der Raps hinter unserem Hof ganz hochgewachsen und blühte üppig. Wir saßen auf der Bank in der Sonne und auch hier fühlte ich, dass das alles genauso sein soll (!!!!), dass das höhere Fügung ist, ein Geschenk des Himmels, dass wir beschützt und geführt sind. Die Amseln in unserem Garten hatten auch Junge bekommen. Schröder, unser Hund, hat mal kurz über Michel drüber geschnuppert und war dann gar nicht weiter an ihm interessiert. Das hat gut geklappt mit Michel und Schröder, denn ich dachte vorher, vielleicht könnte es da Schwierigkeiten geben, weil Schröder solange als Hund ohne Kind war. Auch die Katzen haben sich prima in die neue Situation eingefunden, die durften nämlich mit Michels Ankunft nicht mehr überall  auf den Sesseln und dem Sofa liegen, sondern nur noch im Flur. Und das haben sie ohne großes Aufhebens getan.

 Meine Eltern, Michels Oma und Opa, waren wohl zuerst etwas betroffen. (Sie selbst haben, als ich sieben Jahre alt war, ein Kind verloren, von dem es hieß, es wäre „behindert“ gewesen. Es starb einen Tag nach seiner Geburt. ) Michels andere Oma wohnt in Wuppertal, die ist etwas weiter weg und konnte nicht in die Klinik kommen. (Wir leben in Hessen in der Wetterau und die Klinik war die Uni-Klinik in Gießen.) Die hat auch die ersten Tage über „dieses Schicksal“ geweint. Auch sie hat eine Vorgeschichte: Ihre Schwester hatte ein Kind mit Down-Syndrom, ein kleines Mädchen, das nach fünf Monaten starb. … Jetzt lieben sie den Michel alle heiß und innig und sein Down-Syndrom ist kaum Thema. – Ich habe nur positive Erfahrungen gemacht. Mir fällt kein einziger ein, der komisch geschaut oder eine blöde Bemerkung gemacht hätte wegen Michel. Ich selbst bin noch am … ausprobieren, wie ich damit umgehe. Am Anfang habe ich immer gleich gesagt:“Er hat das Down-Syndrom.“ Weil ich nicht wollte, dass jemand denkt, ich wolle das verheimlichen. Dann habe ich gemerkt, dass ich diese Erklärung gar nicht immer geben will. Michel ist Michel. Und dieses „Er hat das Down-Syndrom“ erzeugt meines Empfindens nach manchmal so viele Konstrukte, Vorstellungen, (Hirn-) Gespinste, die uns unserer Freiheit berauben. Der Freiheit, so zu sein, der Freiheit, einfach einander zu begegnen, ohne vorgefasste Meinungen. – Aber: Ist das nicht, auch wenn jemand kein Down-Syndrom hat, auch so? … Hm? …

Mir begegnen z.Zt. „an jeder Ecke“ Menschen, die mir von den Besonderheiten ihrer Kinder erzählen: Der eine hat mit über einem Jahr noch keine Zähne, die andere rollt sich nur über den Boden und will mit 15 Monaten noch nicht krabbeln und der nächste hat mit drei Jahren nur „Gäng-gäng“ gesagt – später in der Schule war er in Deutsch der Beste. Mir erzählt also gerade jeder, wie groß die Vielfalt menschlicher Entwicklung und menschlichen Ausdruckes ist, unabhängig davon, ob da eine genetische Veränderung diagnostiziert ist oder nicht. Auch die Unsicherheiten, die ich habe, z.B. ob ich auf mein Gefühl hören soll oder auf den Rat des Kinderarztes, der etwas anderes sagt, hat nichts mit Michels Down-Syndrom zu tun. Das haben Mütter „normaler“ Kinder auch. … - … - … Uns fehlen so viele Begriffe! Bzw. wir haben so viele Begriffe, die uns so sehr einschränken!!!  Richtig schlimm ist das!! „Normal“, „behindert“ … und überhaupt die Vorstellungen, wie was zu sein hat. Damit schneiden wir uns vom Leben ab. Von der Liebe, von der Freiheit, von der Lust am Leben, vom tiefen, tiefen Frieden.



Ich bin so dankbar für den Michel! Was durch ihn alles neu wird! Neu, noch nie dagewesen und so wunderbar! Allein, dass ich jetzt hier sitze und diesen Artikel geschrieben habe für die Zeitschrift KIDS, ob er nun gedruckt wird oder nicht, setzt in mir Prozesse in Gang und öffnet bisher Verschlossenes in mir was mich glücklich und frei macht. Und das wünsche ich auch meinem Kind: Ein glückliches und freies Leben! Und uns allen!


Schläft ein Lied in allen Dingen - oder: Wie die Natur mit uns spricht

      Wünschelrute von Joseph von Eichendorff    „Schläft ein Lied in allen Dingen,  Die da träumen fort und fort,  Und die Welt hebt an zu ...