Es gibt hier eine
Katze. Ich bin ihr in letzer Zeit öfters begegnet. Wenn ich mit Michel im
Kinderwagen durch’s Dorf gehe, um Oma und Opa, meine Eltern, zu besuchen, dann
liegt sie manchmal in einem Garten im Gras oder sie sitzt auf dem Bürgersteig
oder in einem Hof und sieht uns an. Ein paar Mal habe ich sie auch beim
Gassi-gehen mit Schröder gesehen, wie sie durch die Felder streift, über den
Feldweg läuft oder durch das abgemähte Rapsfeld.
Sie ist ganz weiß
mit wenigen grau-schwarzen Flecken: Einer auf dem Kopf, der sieht aus wie die
Frisur Adolf Hitlers, und dann auch noch einer über ihrem Schnäuzchen, der aussieht
wie sein komischer Schnurrbart. Als ich sie zum ersten Mal sah, sagte ich zu
Michel: „Guck mal, die sieht aus wie Adolf Hitler!“ Da lag sie im Garten im
Gras und döste vor sich hin und als ich das gesagt hatte, hob sie ihren Kopf
und sah uns an.
Vielleicht ist sie
eine Reinkarnation von ihm. Vielleicht nicht der ganze Adolf Hitler, aber ein
Teil von ihm. Von Michel dachte ich das auch schon mal, dass Adolf Hitler, mit
einem Anteil seiner selbst, als Michel zu uns gekommen ist. Beide haben am 20.
April Geburtstag, und Michels Haare haben mich mal an die Frisur von Hitler
erinnert … weil er, Hitler, doch so eine schreckliche Kindheit gehabt haben
soll und jetzt will er als Michel-Kind bei uns leben und das ausheilen lassen.
Und als Katze streift er hier durch den Raps und döst in der Sonne, einfach so.
Einfach leben! Völlig frei, ohne irgendwelche Verantwortungen, ohne Druck,
einfach leben und das Dasein genießen. - Es sei ihm gegönnt!
Versteht mich
nicht falsch. Michel ist Michel und ich glaube nicht, dass er irgendwie „besetzt“
ist. Aber wir sind alle miteinander verbunden. Und wenn meine eigene Kindheit,
inspiriert durch Michels Dasein, heilt, indem dass ich sowohl Mutter als auch
Kind bin, darf Hitler ruhig auch daran teilhaben.
Könnte es sein,
dass Hitler sowas wie ein Archetyp ist? Eine Gestalt, die sich manifestiert
hat, weil alle Menschen die Eigenschaften in sich tragen, die man ihm zuordnet,
diese aber eher unterdrücken, bzw. sich nicht eingestehen wollen, weil sie sie
für böse halten? Das Kleine, Gemeine, Anschwärzende, Alle-auf-einen, die
Grausamkeit und das Unbarmherzige. „Ich doch nicht“!
Weil ich meine Wut
lieber runterschlucke (die Alkoholsucht in meiner persönlichen Lebensgeschichte)
anstatt sie zu artikulieren, weil ich mich nicht traue, auch mal „auf den Tisch
zu hauen“, oder einfach nur zu sagen, was ich meine, rasiert sich mein junger
Nachbar die Haare ab, pierct und tätowiert sich und hört Techno, dass die Wände
erzittern. Der lässt seinen Frust und seine Aggressionen raus und stülpt sie
mir noch über!
Das ist ja das Gute
am Leben: Dass man seine Themen dermaßen präsent vor die Nase gesetzt bekommt,
dass man garnicht anders kann, als sich damit auseinanderzusetzen!
Ich habe an ihm
gelernt. Er hat mich dazu gebracht, mich zu trauen, für mich einzustehen und
Grenzen zu setzen. Jetzt ist er ruhiger. Meine Wut ist aber immer noch ein
Thema, das noch nicht ganz ausgewogen ist. Ich schlucke immer noch manchmal,
wenn ich lieber sagen würde: „Das ärgert mich jetzt!“ Mit dem Ergebnis, dass
ich die Begebenheit dann tagelang mit mir herumtrage und sehen muss, wie ich
sie wieder loskriege, bzw. ausbalanciere.
Dass sowas wie
Hitler, Nazis und Neonazis auf den Plan treten, liegt meines Erachtens daran,
dass Menschen ihre eigenen Aggressionen unterdrücken, dass sie konfliktscheu
sind, sich nicht trauen und sich lieber ducken und schweigen, sich kleinmachen,
anstatt sich zu zeigen und für sich einzustehen. Dabei muss ich auf niemanden
zeigen. Ich rede von mir. Deshalb bin ich auch so guter Dinge, dass das alles
gut wird und die Neonazis verschwinden, denn ich bin am wachsen, ich traue es
mir jetzt zu, mich zu trauen!
In unseren Ferien
war eine Situation, die mir nochmal klar gezeigt hat, wie das ist, nichts zu
sagen, wenn man sich ärgert: Die akute Situation dauerte vielleicht zehn
Minuten. Mit mir herumgetragen habe ich es mindestens eine Woche.
Ein nächstes Mal
will ich meine Wut nicht schlucken! Möge es mir dann auch bewusst sein und möge
ich es anders machen! Das sitzt bei mir so fest, dieses Verhaltensmuster des
Runterschluckens, dass ich in solchen Situationen oft wie ein hypnotisiertes
Kaninchen bin. Mir geht erst später auf, dass mir da jemand was übergebügelt
hat und ich brav stillgehalten habe. Schluss damit!! Aus!! Ende!! So nicht
mehr!!
Eine spirituelle
Lehrerin von mir äußerte einmal die Ansicht, Adolf Hitler sei nicht im Himmel.
Auf keinen Fall sei er Himmel! Der doch nicht! Ich aber glaube, dass er es ist.
Im Himmel seiner Seele, und in manchen lebendigen Organismen hier auf der Erde,
die sich in himmlischen Zuständen befinden, wie die weiße Katze. Von Gott aus
ist er allemal im Himmel. Gott verzeiht jedem alles oder besser gesagt: Für
Gott gibt es nichts zu verzeihen, weil er weiß, dass es nichts zu verzeihen
gibt. Gott, das höchste oder tiefste oder reinste Sein Adolf Hitlers und von
uns allen, hat ihm verziehen, bzw. ihn garnicht erst für schuldig befunden.
Höchstens Hitler selbst oder noch in Vorstellungen und Glaubensmustern
gefangene Teile seiner selbst, mögen mit seinen Taten hadern und ihn dafür
verurteilen. Aber auch das glaube ich nicht. Hitler ist im Himmel. Im Paradies.
Und so können wir
uns alle eine Scheibe abschneiden von ihm, denn wenn er da ist, im himmlisch-paradiesischen Zustand, dann hat er sich
selbst alles vergeben. Und wer kann das schon von sich behaupten, sich selbst
alles vergeben zu haben? Sich selbst, mit allem - mit allem!!! - angenommen zu haben, sich wundervoll zu
finden und zu lieben?
Und vielleicht ist
doch der ganze Adolf Hitler in der Katze im Rapsacker, weil hier, gleich bei
mir um die Ecke, der Himmel ist. Ich hatte neulich schon den Eindruck.
Ergänzung
anlässlich der Veröffentlichung im Schreibkammer-Blog (10 Jahre nach Entstehung
des Kapitels):
Hitler ist
vielleicht ein gar krasses Beispiel und löst wegen seiner Person starke
Widerstände aus gegen das, was ich hier schreibe. Aber die Katze sah nun mal so
aus. 🐨🐱
Und ich glaube
immer noch, dass es so ist: Was ich hier „Hitler als Archetyp“ nannte,
Gegebenheiten im Außen, manifestieren sich aufgrund von inneren Mustern und Verhaltensweisen
der Menschen. Und die Themen im Außen, auf die ich einsteige, die mich
triggern, haben alle Heilungspotential für mich. Es geht immer darum, etwas anzunehmen,
zu verzeihen, Verborgenes zu öffnen und am Leben teilhaben zu lassen. Auch
unsere Schwächen und das Ungewollte. Das ist es ja oft, worüber wir im Außen
schimpfen. Ich aber bin verantwortlich für absolut alles, was um mich ist, für
alles, was ich bemerke. Und wenn ich in diese Verantwortung gehe und so mit den
Dingen umgehe, dann heilt es auch mit der Zeit. Und ich glaube und merke sogar:
ziemlich schnell. Ich habe das Gefühl, allein durch Annahme, erfolgt umgehend
Heilung. In wenigen Augenblicken, Stunden oder Tagen. Schritt für Schritt.
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