Ich habe mir das,
was ich bisher geschrieben habe, durchgelesen und es kommt mir vor, als seien es
lauter Geschichten. Geschichten in meinem Leben, auf die ich von außen blicke,
auch wenn ich innere Abläufe beschreibe. Manchmal bin ich wirklich in der
Position dieser unerschütterlichen inneren Ruhe, dann erscheint mir das, was
vorhin gewesen ist, was heute Morgen war, oder das, was ich aufgeschrieben habe
von vor zwei Jahren, und ganz und gar Begebenheiten aus meinem „früheren
Leben“, als ich noch getrunken habe, so unwirklich. Lauter Geschichten. Aber
währendem ich diese Geschichten durchlebe, durch-“spiele“, aktuell akut drin
bin, bin ich oft so aufgeregt, so besorgt, so glücklich, so … - die ganze
Palette Leben.
Manchmal, wenn ich
mit D. streite, steht ein Teil von mir daneben und sieht sich die Szene an.
Dieser Teil sieht ganz klar, dass das, was wir da machen, nicht die Wahrheit
ist, dass das irgendwie nicht wirklich wir sind, sondern dass sich da unsere
Muster, unsere Verletzungen von früher, unser inneres Kind und unsere Meinungen
ausagieren. D. sagt auch oft: „Darf ich meine Meinung nicht sagen?!“ Ich aber
nehme seine Meinung persönlich und lasse sie auf meine alte Angst treffen: dass
da jemand wäre, der mich angreift, der mir weh tun könnte. Dann meine ich
wieder zu wissen, wie etwas sei,
anstatt offen und ohne Vorbehalte zu schauen, was da wirklich ist und mir zu erlauben, das überhaupt erstmal zu entdecken und zu erfahren, zu er-leben. Da
lege ich lieber gleich los und kämpfe. … - Und von meinem Vater sage ich, er
sei Meister in der Strategie „Angriff ist die beste Verteidigung“!! … -
Vor ein paar Tagen, morgens beim Gassi-gehen, lag auf dem Weg hinter unserem Haus ein Igel zusammengerollt im Gras. Ich dachte: „Der hat sich zum Schutz vor meinem Hund Schröder zusammengerollt.“ Aber als wir zurückkamen, lag er noch genauso da. Ich hob ihn auf, um nachzusehen, ob er verletzt sei, konnte aber nichts entdecken. Er hustete nur etwas oder fauchte. Ich legte ihn wieder ab und überlegte, was ich tun sollte. Unsere Nachbarin ist im Tierschutz aktiv. Ich hatte sie kurz vorher in ihren Hof gehen sehen. Ich ging hinüber, um sie zu fragen, ob sie eine Idee habe, was mit dem Igel los sein könnte. Auf mein Klingeln machte aber niemand auf.
Mittlerweile bin
ich der Ansicht, dass, wenn das so ist, wenn jemand nicht da ist, nicht ans
Telefon geht, oder wenn etwas nicht klappen will, das dann (im Moment) nicht
der richtige Weg ist. Das kann ich mir dann sparen und muss mich nicht weiter
darum bemühen. Ich ging also wieder nachhause. Der Igel lag noch immer
zusammengrollt auf dem Weg. Ich hatte Bedenken, wenn mein anderer Nachbar, der
sich noch am Ende des Halbstarkenalters befindet, mit seinem Auto hinter den
Gärten entlanggefahren käme – der würde vielleicht einfach über ihn drüber
fahren! Deshalb nahm ich den Igel mit und legte ihn in unseren Garten unter den
Haselstrauch.
Als ich etwas
später aus dem Fenster nach ihm sah, hatte er sich erhoben, torkelte im Stehen
hin und her, bewegte sich aber nicht von der Stelle. Ich dachte: „Vielleicht
ist er schwach und hungrig. Es gibt dieses Jahr nicht so viele Schnecken.
Vielleicht findet er nicht genug Futter.“ Ich bereitete ihm ein Schälchen mit
Katzenfutter und eines mit Wasser und stellte ihm beides hin. Er hatte sich
wieder hingelegt.
Jetzt öffnete er
seine Augen und hob sein Schnäuzchen. Er stand sogar auf, torkelte aber wieder
hin und her und machte keine Anstalten zu fressen oder zu trinken und musste
sich auch gleich wieder hinlegen. Ich schmierte ihm etwas Futter an sein
Mäulchen. Das ließ er aber einfach hängen und leckte es nicht ab. Ich dachte:
„Vielleicht bist Du alt und stirbst. Dann sollst Du hier ein schönes, ruhiges
Plätzchen dafür haben.“ Ich ließ ihn in Ruhe und ging zurück ins Haus.
Später sah ich
durchs Fenster, dass zwei Elstern um die Nahrungsschälchen herum hüpften. Die
wollten sich da wohl bedienen. Ich ging dann meinen Beschäftigungen nach und
als ich das nächste Mal nach dem Igel sah, war er weg. Ich habe ihn nicht
wieder gesehen.
Vielleicht war er
wirklich alt. Und ist gestorben. Hat sich zum Sterben in eine Ecke verkrochen.
Ein alter Igel. Neulich las ich in einem Buch, dass es so etwas in der Natur
nicht gibt. Der Autor nahm als Beispiel einen Buchfink: einen alten Buchfink.
„Die sterben alle früh“, schrieb er (durchs Fressen-und-gefressen-werden). Und
jetzt: Ein alter Igel, der sich mir zeigt. Das ist nämlich meine Vision, einer
meiner tiefsten Herzenswünsche: Dass alle Wesen auf Erden frei umherlaufen und
leben und dass keinem mehr etwas angetan wird oder sonst ein Leid geschieht.
Niemand wird mehr überfahren oder geschlachtet. Die Kühe auf der Weide werden
nicht mehr hinter Stacheldraht gesperrt, sondern dürfen frei umherlaufen und
werden alt. Alte Kühe! Auch die Pferde dürfen frei laufen. Das erfordert Mut
und Abbau von Ängsten und eine neue Art des Umgangs der Wesen untereinander.
Die Schafe, die Schweine, die Hühner, die Hunde … alle frei! Wildtiere werden
nicht mehr gejagt. … - …
Das ist wieder das
Paradies. Das Paradies auf Erden! Das ist meine Vision!
Vielleicht haben
ihn auch die Elstern mitgenommen. Dieser Gedanke kam mir auch. Die Elstern
haben gerade Junge, mindestens drei, vielleicht auch vier. Vielleicht ist er
gestorben, als sie ihn in die Lüfte erhoben. Und sie haben ihn im Nest
gefressen. Damit konnte er in seinem Tod noch jemandem als Nahrung dienen.
Früher erzählte
ich manchmal, dass ich, wenn ich einmal tot sei, in den Wald gelegt werden
wolle. Da könnten mich die Füchse und Dachse noch fressen und ich läge an einem
schönen Ort, draußen in der Natur. – Dieser Gedanke gefällt mir besser, als auf
einem Friedhof begraben zu werden.
Die Schale mit dem
Katzenfutter war leer. Das haben entweder die Elstern gefressen oder die Katzen
oder Schröder oder – der Igel! Ist wieder zu Kräften gekommen und davon
marschiert. Und jetzt erinnert er sich gerne an diesen Platz und kommt im
Herbst wieder, um unter unserem Gartenhaus Winterschlaf zu halten. - Und
nächstes Jahr spielen Igelkinder in unserem Garten!
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